Warum migrationskritische Parteien erfolgreich sind
Eine neue Studie von ETH-Forschenden zeigt, dass der Erfolg migrationskritischer Parteien im Schweizer Grenzgebiet nicht auf die Auswirkungen der Zuwanderung, sondern eher auf deren Rhetorik zurückzuführen ist.
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In Kürze:
- Eine neue Studie untersucht den Erfolg migrationskritischer Parteien im Grenzgebiet der Schweiz nach der Einführung der Personenfreizügigkeit im Jahr 2004.
- Die Studienautoren fanden keinen Beleg dafür, dass es die tats?chlichen oder gefühlten negativen Folgen der Zuwanderung waren, die hinter dem Erfolg der migrationskritischen Parteien standen.
- Eine Reihe von Indizien deuten darauf hin, dass migrationskritische Parteien nicht nur auf die tats?chlichen Probleme der Bev?lkerung im Grenzgebiet reagierten, sondern deren ?ngste durch ein neues Dichtestress-Narrativ weckten oder verst?rkten.
Der Erfolg migrationskritischer, rechter Parteien in Europa wird oft darauf zurückgeführt, dass diese die negativen Auswirkungen der Zuwanderung ins Zentrum ihrer Politik stellen. Gem?ss dieser Erkl?rung w?hlen Menschen diese Parteien vor allem deshalb, weil sie Angst haben, auf Grund der steigenden Zuwanderung ihren Job zu verlieren, h?here Steuern oder Mieten zu zahlen oder ihre kulturelle Identit?t bedroht sehen.
Eine neue Studie von Forschenden der ETH Zürich und Bocconi Universit?t in Mailand, die kürzlich in der Fachzeitschrift externe Seite American Political Science Review erschienen ist, hat diese Erkl?rung nun in allen Schweizer Gemeinden und St?dten getestet, die weniger als 30 Fahrminuten von der Landesgrenze entfernt liegen. Sie konzentriert sich dabei auf die Zeit vor und nach dem Jahr 2004, als die Schweiz im Zuge der Einführung der Personenfreizügigkeit ihre Grenzen erstmals vollst?ndig für EU-Bürgerinnen und Bürger ?ffnete.
Natürliches Experiment
Was die Studie von ?hnlichen Untersuchungen abhebt, ist ihr ausgeklügeltes, quasi-experimentelles Design: Die Forschenden verglichen das Wahlverhalten in zwei Gebieten, die unterschiedlich stark von der Zuwanderung betroffen waren: Gemeinden und St?dte in Grenzn?he (0 bis 15 Autominuten von der Grenze entfernt) und als Kontrollgruppe Gemeinden und St?dte, die 15 bis 30 Fahrminuten entfernt von der Grenze liegen. Insbesondere aufgrund der hohen Zahl an Grenzg?ngern, stieg der der Ausl?nderanteil nach der ?ffnung der Grenze in Grenzn?he viel st?rker als in der Kontrollgruppe.

Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit stieg der W?hleranteil, welcher bei Nationalratswahlen für migrationskritische Parteien wie die SVP, aber auch die Lega dei Ticinesi und das Mouvement citoyens genevois stimmten, in den Grenzgemeinden um ganze sechs Prozentpunkte mehr als in den Gemeinden, die 15 bis 30 Autominuten entfernt waren. Um diesen drastischen Anstieg zu erkl?ren, suchten die Studienautoren nach negativen Konsequenzen der Personenfreizügigkeit, welche das unterschiedliche Wahlresultat zwischen beiden Gebieten erkl?ren k?nnen.
?Da die Grenzgemeinden und die Gemeinden weiter im Landesinneren vor der Grenz?ffnung im Jahr 2004 vergleichbare politische und wirtschaftliche Bedingungen aufwiesen, l?sst sich der Einfluss der verst?rkten Zuwanderung auf den Erfolg migrationskritischer Parteien dort besser von alternativen Erkl?rungsfaktoren unterscheiden?, erkl?rt Dominik Hangartner, ETH-Professor für Politikanalyse und einer der Autoren.
Wirtschaftliche und kulturelle ?ngste spielten keine Rolle
Zu ihrer ?berraschung fanden die Forschenden aber keine Belege dafür, dass der Anstieg des Ausl?nderanteils im Grenzgebiet nach 2004 negative Folgen für die lokale Bev?lkerung hatte – weder reale noch gefühlte. Da es sich bei den EU-Ausl?ndern gr?sstenteils um Menschen aus dem Grenzgebiet der Nachbarl?nder handelte, welche Sprache und Kultur mit der einheimischen Bev?lkerung teilten, gehen die Forschenden davon aus, dass der Zuspruch für migrationskritische Parteien kaum auf kulturelle ?ngste zurückzuführen ist.
Auch wirtschaftliche ?ngste scheinen keine Rolle zu spielen: Die Studie fand keine Hinweise darauf, dass sich der Zuzug ausl?ndischer Arbeitskr?fte negativ auf die Durchschnittsl?hne oder auf die Besch?ftigung in grenznahen Gemeinden ausgewirkt hat. Im Gegenteil: Die L?hne haben sich sogar leicht besser entwickelt. ?Migrationskritische Parteien haben in den Grenzgemeinden zus?tzliche W?hlerstimmen gewonnen, obwohl es den Menschen dort aufgrund der Grenz?ffnung auf dem Arbeitsmarkt nicht schlechter ging?, sagt Andreas Beerli, ?konom bei der Konjunkturforschungsstelle der ETH und einer der Ko-Autoren.
Auch bei der H?ufigkeit von Verkehrsstaus – einem der sichtbarsten Indikatoren von Dichtestress – beobachteten die Forschenden keine systematischen Unterschiede zwischen dem Grenzgebiet und den Gemeinden und St?dten, die 15 bis 30 Minuten entfernt von der Grenze liegen. Da sich die Verkehrslage in beiden Gebieten gleichermassen verschlechtert hat, kann man damit nicht erkl?ren, warum migrationskritische Parteien gerade in Grenzgemeinden besser abschneiden.
Diese Erkenntnisse best?tigten sich auch in repr?sentativen Umfragen, welche die subjektive Wahrnehmung der Bev?lkerung vor und nach der Grenz?ffnung messen: ?Wir finden in den Umfragedaten keine Belege dafür, dass die Schweizer Bev?lkerung in den Grenzorten seit der Einführung der Personenfreizügigkeit mehr Angst vor Arbeitslosigkeit, steigenden Mieten, Terroranschl?gen oder vor einer Schw?chung ihrer Traditionen hat, als in den weiter entfernten Gemeinden?, sagt Beerli.
Dichtestress-Narrativ verf?ngt
Nachdem die Forschenden die g?ngigen Erkl?rungen ausgeschlossen hatten, untersuchten sie die politische Kommunikation der migrationskritischen Parteien. Dabei fiel auf, dass vor allem die SVP ab 2004 ein neues Narrativ rundum den Begriff ?Dichtestress? verwendete, um die negativen Auswirkungen der Zuwanderung zu thematisieren.
Dieses Narrativ verknüpfte die Zuwanderung mit überfüllten ?ffentlichen Verkehrsmitteln, verstopften Strassen und der Zersiedelung der Landschaft. ?Das Dichtestress-Narrativ hat bei breiteren Bev?lkerungsschichten verfangen, da es ein Unbehagen gegenüber der Einwanderung ausdrückte, ohne dabei fremdenfeindlich konnotierte Begriffe zu verwenden?, erkl?rt ETH-Professor Hangartner. Die Forschenden vermuten, dass diese Art der politischen Kommunikation zum Erfolg der migrationskritischen Parteien in den Grenzgebieten beigetragen hat.
Dafür finden die Studienautoren mehrere Indizien: Sie belegen zun?chst, dass das Dichtestress-Narrativ ab 2004 stark in den Medien pr?sent war. Zudem zeigen sie am Beispiel des Tessins, dass migrationskritische Parteien nach der Grenz?ffnung in den Grenzgemeinden besonders aktiv waren – deutlich aktiver als in den Gemeinden, die 15 bis 30 Minuten entfernt von der Grenze liegen. So reichten Parlamentarier der SVP und der Lega, die aus den Grenzgemeinden stammten, deutlich mehr migrationskritische Vorst?sse im Kantonsparlament ein als ihre Parteikolleg:innen aus den weiter entfernten Gemeinden. Diese Vorst?sse nahmen oft explizit Bezug auf das Dichtestress-Narrativ.
Auf der Grundlage von Umfragedaten weisen die Studienautoren zudem darauf hin, dass vor allem mittelm?ssig politisch Interessierte in den Grenzgebieten am offensten für die Argumente der migrationskritischen Parteien waren. Dies entspricht den g?ngigen Theorien, da Menschen, die sich entweder gar nicht oder sehr stark für Politik interessieren, viel schwieriger zu überzeugen sind.
Zusammengenommen deuten diese Befunde darauf hin, dass sich migrationskritische Parteien mit ihrer Dichtestress-Rhetorik auf die Grenzgemeinden fokussierten und sie damit vor allem Menschen überzeugten, die sich weder zu stark noch gar nicht für Politik interessieren. ?Migrationskritische Parteien reagierten im Grenzgebiet nicht nur auf die Probleme der Bev?lkerung, sie weckten und verst?rkten diese ?ngste auch durch ihre Rhetorik. Sie pr?gen den ?ffentlichen Diskurs und scheinen vom Thema Zuwanderung selbst dann zu profitieren, wenn die Zuwanderung für die meisten Menschen keine messbaren, negativen Effekte hat.?, erkl?rt Andreas Beerli.
Literaturhinweis
Alrababah A, Beerli A, Hangartner D, Ward D, The Free Movement of People and the Success of Far-Right Parties: Evidence from Switzerland’s Border Liberalization, American Political Science Review (2024) 1–20, doi: externe Seite 10.1017/S0003055424001151