Ein Bauingenieur mit Blick fürs Ganze

Gross vorstellen muss man Thomas Vogel nicht. Man kennt ihn an der ETH ¨C und auch ausserhalb der Hochschule. Vogel ist Spezialist f¨¹r Baustatik und Stahlbetonkonstruktionen. Br¨¹ckenbau ist sein engeres Gebiet. Er erforscht, was Tragwerke sicher und langlebig macht. Als Hochschullehrer hat er Generationen von Studierenden in die Kunst des konstruktiven In?ge?nieur?baus eingef¨¹hrt. St¨¹rzt irgendwo ein gr?sseres Bauwerk ein, klingelt Vogels Telefon. Seine Expertise ist in der Fachwelt und bei Medien gefragt.

Nun wird Thomas Vogel Ende Januar emeritiert. Mitte November h?tte seine Abschiedsvorlesung in der Stadthalle B¨¹lach stattfinden sollen. H?tte, denn der Anlass fiel ¨C wie viele andere auch ¨C der Pandemie zum Opfer.

Vogel hatte seinen Abschied mit viel Herzblut vorbereitet. Sagte die Veranstaltung dann aber ?aus Einsicht? ab, noch bevor der Bundesrat solche Aktivit?ten Ende Oktober ohnehin unterband. Das Virus sei letztlich eine Naturgewalt. ?Das macht es irgendwie auch einfacher?, sagt er. Nachholen wird er die Abschiedsvorlesung nicht.

Gewiss, seinen Abgang hat sich Vogel anders vorgestellt. Doch Tr¨¹bsal blasen ist nicht sein Ding. Auch wenn er die letzten zehn Monate seiner Karriere fast ausschlie?lich im Homeoffice verbrachte ¨C seinen Humor hat er nicht verloren. ?So konnte ich schon mal den Ruhestand ¨¹ben und schauen, wie es meine Frau mit mir zuhause aush?lt?, schmunzelt er und r?umt ein, die erste Welle im vergangenen Fr¨¹hling h?tte daf¨¹r aber eigentlich gereicht.

Der Professor, der aus der Praxis kam

Thomas Vogel wurde im Herbst 1955 in Aar?au geboren und wuchs in Rheinfelden auf. Sein Vater war Forstingenieur und nahm ihn als Kind oft mit in den Wald. Der Grossvater m¨¹tterlicherseits war Professor an der ETH. Sie gaben dem Jungen zwei Dinge mit auf den Weg: seine Leidenschaft f¨¹r die Natur, besonders f¨¹r B?ume, und der fr¨¹he Wunsch, selber einmal Professor zu werden.

Vogel stu?dier?te Bau?in?ge?nieur?we?sen an der ETH Z¨¹?rich und schloss 1980 mit dem Di?plom ab. Zun?chst zog es ihn in die Praxis. Er arbeitete zw?lf Jahre in Ingenieurb¨¹ros im Br¨¹cken- und Hochbau, anfangs als Projektleiter in einem B¨¹ro in Chur, dann als leitender Mitarbeiter und bald als Gesch?ftsf¨¹hrer eines mittleren Ingenieurbetriebs in Z¨¹rich.

1992 folgte der Ruf an die ETH Z¨¹rich. Der junge Praktiker trat die Nachfolge des ber¨¹hmten Schweizer Br¨¹ckenkonstrukteurs Christian Menn an. Seit 1995 ist Vogel or?dent?li?cher Pro?fes?sor f¨¹r Bau?sta?tik und Kon?struk?ti?on am gleich?na?mi?gen In?sti?tut des Departements Bau, Umwelt und Geomatik.

Von Br¨¹cken, Stahlbeton und Steinschl?gen

Beton ist als Werkstoff spr??de und br¨¹chig. Verst?rkt man ihn jedoch mit Stahl, kann sich Beton bei zu hoher Spannung plastisch verformen, bevor er bricht. Das macht Stahlbeton zum idealen Verbundbaustoff f¨¹r Tragwerke aller Art. Dringen jedoch Wasser, Sauerstoff und Salze ein, kann der Stahl im Beton korrodieren.

?Stahlbeton und Br¨¹cken brauchen Unterhalt. Man muss sie regelm?ssig auf Risse und Rost kontrollieren?, sagt Vogel. In seiner For?schung kon?zen?trierte er sich auf Verfahren, um Stahl?be?ton?trag?wer?ke m?glichst zerst?rungsfrei auf Korrosionssch?den zu ¨¹ber?pr¨¹?fen.

In j¨¹ngerer Zeit besch?ftigte sich der Baustatiker vermehrt mit Naturgefahren, insbesondere mit Steinschl?gen. Solche werden in Bergregionen als Folge des Klimawandels zusehends h?ufiger. ?Auch hier braucht es robuste Stahl?be?ton?kon?struk?tio?nen, um gef?hrdete Verkehrswege und Siedlungen besser zu sch¨¹tzen?, erkl?rt er.

Vogel brachte sein Wissen auch in Sicherheitsstandards und Normen des Bauwesens ein. Ab 1995 pr??si?dierte er w?hrend f¨¹nf Jahren die Z¨¹rcher Sektion des Schwei?ze?ri?schen Ingenieur-? und Ar?chi?tek?ten?ver?eins (SIA). Und von 2005 bis 2013 sass er in der Ge?sch?fts?lei?tung der In?ter?na?tio?na?len Ver?ei?ni?gung f¨¹r Br¨¹cken-? und Hoch?bau (IVBH), der er seit 2015 auch als Vizepr?sident dient.

Auf ihn kann man sich verlassen

Thomas Vogel ist Ingenieur durch und durch. Er denkt strukturiert, ist immer top organisiert, arbeitet effizient und l?sungsorientiert. ?Das heisst, dass man Probleme nicht sucht, sondern l?st?, sagt er. Doch als Bauingenieur k?nne man die entwickelte L?sung kaum je testen. Deshalb gehe man stets auf die sichere Seite. ?Damit man sich auf Anhieb darauf verlassen kann.?

Verlassen konnte man sich stets auch auf ihn: Vogel gilt als ausgesprochen engagierter und verantwortungsbewusster Macher. Engere Weggef?hrten streichen aber auch seine sensible Seite hervor. Wer Vogel n?her kennenlernt, dem offenbart sich ein einf¨¹hlsamer und humorvoller Mensch, ein geselliger Naturfreund und nicht zuletzt ein spannender Gespr?chspartner, der sich weit ¨¹ber sein Fachgebiet hinaus f¨¹r so vieles interessiert, was das Leben bietet.

Vom Probleml?ser zum Prorektor

Es ¨¹berrauscht kaum, dass Vogel von Anfang an auch ¨¹bergeordnete Aufgaben ¨¹bernahm: Dreimal stand er dem Institut f¨¹r Baustatik und Konstruktion vor. Als erster Studiendele?gier?ter des Stu?di?en?gangs Bau?in?ge?nieur?wis?sen?schaf?ten engagierte er sich auch f¨¹r die Lehre. Ab 1997 vertrat er die Professorenschaft im Mitwirkungsorgan der ETH, der Hochschulversammlung. Zwei Jahre sp?ter wurde er deren Pr?sident f¨¹r sechs Jahre.

2005 trat Vogel aus der Hochschulversammlung zur¨¹ck und widmetet sich wieder der Forschung und Lehre, bis ihm Rektorin Heidi Wunderli-Allenspach 2008 die Position des Prorektors Doktorat anbot. Vogel entgegnete verbl¨¹fft, das gehe wohl kaum, er habe selber ja gar nicht doktoriert.

Wunderli-Allensbach ¨¹berzeugte ihn dann, dass seine Erfahrung als Doktorvater und Studiendelegierter durchaus reichen w¨¹rde. Vogel amtete als Prorektor Doktorat auch ohne Doktortitel erfolgreich acht Jahre lang unter drei Rektorinnen und Rektoren.

Im letzten Sommer gab Vogel sein bisher j¨¹ngstes Amt als Vorsteher des Departements Bau, Umwelt und Geomatik ab.

Zeit f¨¹r Flussfahrten, Saxophon und Bienen

Nach 28 Jahren geht seine akademische Karriere nun zu Ende. ?F¨¹r mich war es immer ein grosses Privileg, an der ETH Z¨¹rich studieren und arbeiten zu d¨¹rfen?, blickt Vogel zur¨¹ck. Das Sch?nste sei f¨¹r ihn, dass man oft mit jungen, motivierten Menschen in Kontakt ist. Diese positive Grundstimmung auf dem ½Ý±¨±È·Ö_ÐÂÀËÌåÓýnba£¤Ö±²¥¹ÙÍø hat er in den letzten Monaten im Homeoffice vermisst.

Der Arbeit hat er indessen nicht alles geopfert: ?Es gab f¨¹r mich auch ein Leben neben der ETH?, erz?hlt er. Zusammen mit seiner Frau geniesst er Fluss- und Kanalfahrten auf dem Hausboot. Dann arbeitet er leidenschaftlich gern mit Holz. In einem Sabbatical entdeckte er das Saxofon. Seit elf Jahren spielt er in der Big Band Z¨¹rich. Vogel liebt den Wald und seinen Garten. Als weiteres Hobby kam k¨¹rzlich die Imkerei dazu.

Und nat¨¹rlich rufen bereits wieder neue Aufgaben: Seit Anfang Jahr sitzt Vogel in der Beschwerdekommission des ETH-Bereichs. Als weiteres Engagement kommt das Pr?sidium der Waterkiosk Foundation hinzu, einer Stiftung, die in Tansania die Aufbereitung von Trinkwasser mit Solarenergie breit f?rdert. Langweilig wird es Thomas Vogel nicht.